Die Erregung, mit der gerade über das Umfragehoch der AfD debattiert wird, ist mitursächlich für jenes Hoch. Dies erkennt, wer nicht mit schreckweiten Augen auf ein tatsächlich erschreckendes Detail starrt – die AfD bei 18 Prozent, gleichauf mit der SPD, im neuesten „Deutschlandtrend“ –, sondern den Blick weitet. Das Geschäftsmodell der AfD ist es, Ablehnung in Zustimmung zu verwandeln: Sie leitet Angst, Ahnungslosigkeit und Wut auf ihre Mühlen und gewinnt daraus Kraft. Dass ihre Sprecher nun behaupten, nicht mehr nur Protest-, sondern Programmpartei zu sein, steht dazu nicht im Widerspruch. Die Ablehnung weiter Teile der Gegenwart ist für eine erhebliche Zahl von Menschen keine Laune, sondern Überzeugung.
Dabei ist die Gegenwart zwar veränderbar; allerdings ist die Bundesregierung nicht Alleinherrscher über sie. Konkret bedeutet das: Den Ärger über das Heizungstauschgesetz muss die Ampel auf ihre Kappe nehmen, die Angst vor dem Krieg in Europa aber nicht. Stark stieg der Zuspruch zur AfD nicht etwa in den vergangenen Wochen, sondern im vergangenen Herbst: Damals dämmerte vielen, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine noch lange dauern würde, dass er auch Deutschland viel kostete und dass der nahende Winter ungemütlich werden könnte. Die Annahmen waren berechtigt. Aber die Alternative – Russland einfach machen zu lassen – drohte eben noch viel ungemütlicher zu werden. Raushalten ging nicht. Eine Einsicht, die für viele so unbequem war, dass sie sich ihr verweigerten.
Davon profitierte die AfD. Sie schenkte Seelenfrieden aus wie Freibier. Wer zugriff, konnte sich gut fühlen, sofern es ihm gelang, zu verdrängen, dass den Preis andere zahlten. Aber die große Mehrheit der Deutschen griff nicht zu, und sie ging auch nicht auf die Straße, um den „heißen Herbst“ Wirklichkeit werden zu lassen, den die AfD an die Wand gemalt hatte. Die Menschen waren in Sorge, aber nicht in Rage.
In ihrer Sorge wurden sie allerdings dadurch bestärkt, dass ihnen wie einem Mädchen, das nach Auffassung ihrer Eltern nicht genug isst, fortwährend der Spiegel hingehalten wurde, um sie auf ihren besorgniserregenden Zustand aufmerksam zu machen, was üblicherweise zu noch mehr Anspannung statt Entspannung führt. So etwa im vergangenen Sommer, als die grüne Außenministerin Annalena Baerbock vor „Volksaufständen“ im Falle eines Gasstopps warnte und der thüringische Verfassungsschutzchef als „realistisch“ beschrieb, dass die Corona-Proteste ein „Kindergeburtstag“ gewesen seien gegen das, was dem Land nun bevorstehe. Stets war in diesen Debatten auch die Rede davon, was das für die AfD bedeute. In den Monaten danach legte die Partei kontinuierlich zu. Das darf nicht vergessen werden, wenn sie jetzt mit einem im Vergleich kleineren Sprung nach oben ihre bisherige Bestmarke knackt. Der Aufstieg kam weder plötzlich noch, wie die AfD gern erzählt, infolge einer klaren Richtungsentscheidung. Das macht den Höchststand nicht weniger schlimm.
Einen Anteil daran hat, wie – nicht dass – die Koalition über das Heizungstauschgesetz streitet. Streit ist normal und dient dem Ausgleich von Interessen. Schädlich ist es, einander unlautere Interessen zu unterstellen, gehässig übereinander zu sprechen und wie in einem Boxkampf die Punkte pro Runde zu zählen, als ginge es um Sieg und nicht um Kompromiss. Widersprüchliche Beteuerungen – mal soll das Gesetz bis zum Sommer fertig sein, dann wieder soll Zeit keine Rolle spielen – tragen zum Eindruck bei, es gehe gerade eher um Egos als um Einigung.
Gefährlich ist also nicht der Streit, sondern die Vermeidung des Arguments. Sie verleiht Erregungsgrad und Lautstärke eine Bedeutung, die ihnen nicht zukommt. Thüringens CDU-Chef Mario Voigt spricht von „Heizungswahn“ und „Energie-Stasi“, als sei Habeck ein Irrer und die Regierung auf Diktaturkurs. Und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz beschreibt im jüngsten Rundbrief an seine Anhänger die Ampel als „hemmungslos“ und kritisiert, das Land werde von den „normalen“ Menschen ganz anders wahrgenommen als „im Justemilieu der Regierungsparteien“. Das wertet Millionen Wähler von SPD, FDP und Grünen als Unnormalos ab und suggeriert, sie wären dem echten Leben enthoben. Dieser Ton ist es, der Angst, Ahnungslosigkeit und Wut stärkt, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern, in denen Populisten auf dem Vormarsch sind. Die Rede davon, dass die Welt in Normale und Unnormale einzuteilen sei, in Wohltäter und Egoisten, in Pazifisten und Kriegstreiber, klingt der ganzen Menschheit im Ohr.
Die Gegenrede ist differenzierter. Ihr folgen allerdings im besten Fall Taten, die Wirkung zeigen. Um beides sollten sich verantwortungsbewusste Politiker bemühen. Denn dafür werden sie gewählt.